«Selbstgedacht» wird zum Qualitätsmerkmal

Künstliche Intelligenz durchdringt immer mehr Bereiche unseres Lebens. Doch wie wird KI unsere sozialen Beziehungen verändern? Karin Frick, Principal Researcher am Gottlieb Duttweiler Institut, gibt im Interview einen Ausblick.
8 Februar, 2024 durch
«Selbstgedacht» wird zum Qualitätsmerkmal
GDI Gottlieb Duttweiler Institute
 

GDI: Vom KI-generierten Bild bis zur intelligenten Kontakt-Management-Software: Wo fängt (Social)-KI an, wo hört sie auf?

Karin Frick: KI-Systeme lernen schnell und werden zum Universal-Werkzeug. Was wir mit ihnen tun – ob wir Roboter für Bio-Ackerbau, für Mars-Missionen oder als Staubsauger nutzen – ist bald nur noch durch unsere Fantasie begrenzt. Die meisten KI-Anwendungen laufen im Hintergrund ab, unsichtbar für Endnutzer. Ähnlich wie beim Licht ist nur ein kleiner Ausschnitt des KI-Spektrums für den Nutzer direkt sichtbar. Neu ist, dass KI und Systeme wie ChatGPT jetzt menschliche Sprache verstehen, man sich direkt mit ihnen unterhalten kann und ihnen immer komplexere Aufträge erteilen kann, die sie selbständig lösen können.

Wie verändert KI unsere Beziehungen? Und uns Menschen?

Die Fähigkeit in menschlicher Sprache zu kommunizieren, macht aus Maschinen-Intelligenzen eine Art (imaginierte) Person. Dabei kann die KI viele Rollen übernehmen, sie kann unser Sklave, unser Coach, Co-Pilotin, Ärztin, Chefin, unser Freund oder unser Haustier werden. Wer Hilfe sucht, fragt in Zukunft vermutlich zuerst (s)eine AI.
Im besten Fall macht uns dies unabhängiger von Experten oder anderen Personen, die mehr wissen und darum mehr Macht haben. Im schlechtesten Fall fühlen wir uns dadurch immer ohnmächtiger und werden von KIs, deren Funktionsweise wir nicht verstehen, manipuliert.

Kann KI unsere sozialen Beziehungen verbessern? Und wenn ja, wie?

Wir können tendenziell mehr mühsame Arbeiten an KIs delegieren, sodass wir mehr Zeit haben für direkte Kommunikation mit anderen Menschen. Wenn zum Beispiel ein Roboter im Spital einzelne Aufgaben in der Körper-Pflege übernimmt oder die Reinigung der Zimmer, können Pflegende ihre Zeit nutzen, um sich persönlich mit Patienten zu unterhalten.
Andererseits kann ein wachsender Anteil von Geschäftsbeziehungen direkt von Maschine-zu-Maschine abgewickelt werden. Eine Schuh-Fabrik kann gewissermassen den ganzen Prozess automatisieren, vom Design, über den Einkauf der Materialien, Vertragsabschlüsse, die Produktion bis zur Vermarktung. Tendenziell wird alles, was eine Maschine machen kann, in Zukunft auch von Maschinen gemacht werden. Die Menschen werden sich auf die Felder konzentrieren, wo menschliche Fähigkeiten besonders gefragt sind und darum ihre sozialen Skills in Zukunft vielleicht eher mehr als weniger brauchen.

Werden wir misstrauischer, wenn KI überall drin ist?

Wir brauchen bereits heute KI täglich, wenn wir im Internet suchen, ein Smartphone nutzen, digital zahlen oder ein E-Auto fahren. Ich vermute, wir werden mittelfristig zu KI ein ähnliches Verhältnis entwickeln wie zu Strom, ohne ihn läuft nichts, er ist selbstverständlich verfügbar, doch wir beachten ihn nur, wenn er ausfällt.

Was sind Beispiele, in denen KI unsere sozialen Interaktionen mit Menschen beeinflusst?

Künstliche Intelligenz beeinflusst unsere sozialen Interaktionen mit Menschen auf verschiedene Weise. Erstens ermöglicht sie es uns, mehr Fragen eigenständig zu lösen, wodurch wir unabhängiger von anderen Menschen werden. Zweitens kann sie zur Verringerung der Informationsungleichheit beitragen. Dies erleichtert es, auf Augenhöhe zu verhandeln, da alle Parteien über ähnliche Informationen verfügen.
Ein Bereich, in dem KI kurzfristig den grössten Einfluss haben könnte, ist die Verständigung zwischen verschiedenen Sprachen. KI-Systeme können simultan zwischen verschiedenen Sprachen wie Chinesisch, Deutsch, Russisch und Spanisch übersetzen. Dies eröffnet ungeahnte Möglichkeiten für direkte Kommunikation weltweit, indem es Menschen ermöglicht wird, trotz unterschiedlicher Sprachen miteinander in Kontakt zu treten.

Welche Branchen werden am stärksten betroffen sein?

KI betrifft alle Branchen. Im Kontext des GDI-Trendtags ist die B-to-C Kommunikation mit KI-Chatbots besonders interessant. Einerseits werden mehr KI-Verkaufs-Bots versuchen, das Einkaufserlebnis persönlicher zu machen, indem sie Antworten auf die Sprache und Stimmung der Verbraucher abstimmen, direkt auf Fragen eingehen und sie zum Beispiel bei Trainings und Diäten beraten.
Ein wichtiges Einsatzfeld sind Themen, die einen relativ hohen Beratungsbedarf haben, wie Finanzberatung, Ernährungsberatung, Reiseführer usw.. Überall dort, wo persönliche Beratung bisher exklusiv war und nur für Premium Kunden zugänglich, kann diese nun allen Kunden geboten werden.

Und nun der Blick aufs grosse Ganze: Wird es mit KI in Zukunft einfacher werden, globale Probleme zu lösen?

KI ist ein mächtiges Universal-Werkzeug, aber kein Allheilmittel. KI hilft die Erforschung von vielen bisher ungelösten Klima- und Gesundheitsfragen voranzutreiben. Über die Umsetzung und Durchsetzung der neuen Erkenntnisse werden auch in Zukunft Menschen entscheiden. KI wird auch die Politik beraten, aber (vorläufig) nicht regieren.

Entscheidet KI besser als Politiker?

Mithilfe von KI lassen sich bessere Entscheidungsgrundlagen erzeugen. Es geht weniger darum, dass KI an Stelle von Politikern entscheidet, sondern, darum, dass sie bessere Wege aufzeigt, wie man zu einem erwünschten Ziel kommt. Zum Beispiel indem sie alternative Pfade zur Senkung der Gesundheitskosten aufzeigt oder für die Regeneration der Biodiversität.

Ist es ein Miteinander, oder wird uns die KI überflügeln?

KI kann bereits heute vieles besser als wir Menschen. KI wird den Radius des Denkbaren und Machbaren erweitern, ähnlich wie die Erfindung des Teleskops oder Mikroskops. 
Doch sie ist auch mit Risiken verbunden, die reguliert werden müssen. Je grösser das Risiko, um so mehr Regulierung braucht es. Ähnlich wie für Atomkraft oder Biotechnologie, wo es sehr strenge Zulassungsgesetze gibt.

Wird es, ähnlich dem Wasserzeichen, eine Markierung für KI-Einfluss geben?

Transparenz schafft Vertrauen. So wie wir die Herkunft von Lebensmitteln deklarieren und nachweisen können müssen, werden wir in Zukunft auch die Herkunft von Bildern, Texten und Videos nachweisen. «Selbstgedacht» wird zum Qualitätsmerkmal.

Erfahren Sie mehr über künstliche Intelligenz am 20. Europäischen Trendtag, der am 13. März 2024 am Gottlieb Duttweiler Institut stattfinden wird. Wir zeigen, wie menschliche und künstliche Intelligenzen zusammen die Zukunft beschreiten. Und wir erklären, wo auch weiterhin die persönlichen Beziehungen den Ausschlag geben werden, und wie sich unser ganz persönliches Verhältnis zu unseren Software-Copiloten entwickeln wird. Wir präsentieren neueste Erkenntnisse aus der Forschung und die spannendsten KI-Startups.

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