Generation #ClimateStrike – Momentaufnahme einer radikalen Bewegung

Aus Greta Thunbergs Schulstreik gegen den Klimawandel wurde innerhalb von wenigen Monaten eine Bewegung, die jeden Freitag hunderttausende Schüler auf die Strasse bringt. Wer mobilisiert die Generation Z? Eine Analyse.
22 Februar, 2019 durch
Generation #ClimateStrike – Momentaufnahme einer radikalen Bewegung
GDI Gottlieb Duttweiler Institute
 

Grossansicht Netzwerk #ClimateStrike

Greta Thunberg selbst hat mit Auftritten beim UN-Klimagipfel in Kattowitz und beim World Economic Forum in Davos weltweit Aufsehen erregt und Kontroversen ausgelöst. Die Kompromisslosigkeit ihrer in aller Ruhe vorgetragenen Attacken gegen Politik, Wirtschaft und Erwachsene polarisiert, und löst vielfach Begeisterung aus.

Das Gottlieb Duttweiler Institute hat in diesem sehr dynamischen Stadium der #ClimateStrike-Bewegung versucht, eine Momentaufnahme zu erheben. Dafür haben die GDI-Forscher Christine Schäfer und Detlef Gürtler mithilfe der Condor-Software der Firma Galaxyadvisors eine Netzwerkanalyse vorgenommen, bei der die Kommunikation rund um die Begriffe #ClimateStrike und Greta Thunberg auf Twitter betrachtet wurde. Die Software berechnete dabei unter anderem die «Betweenness» der zu diesen Begriffen aktiven Accounts. Die Accounts mit der höchsten Betweenness, sind die am meisten verlinkten bzw. diejenigen, über die am meisten im Web «gesprochen» wird. Der Beobachtungszeitraum erstreckte sich von den Schulstreiks am 8. Februar bis zum 12. Februar 2019.

Die Abbildung zeigt das Ergebnis der #ClimateStrike-Netzwerkanalyse. Die Bewegung hat ein extrem stark ausgeprägtes Zentrum – eben Greta Thunberg. Fast alle der wichtigsten Akteure innerhalb des Netzwerks beziehen sich in irgendeiner Form auf sie. Der Blick auf die Sprachen der Accounts im Netzwerk zeigt zudem, dass es sich bei #ClimateStrike derzeit um ein vorwiegend westeuropäisches Phänomen handelt. Neben der (geographisch nicht zuzuordnenden) Hauptsprache Englisch ist Deutsch klar zweitstärkste Sprache (19,2 %), gefolgt von Französisch, Spanisch, Schwedisch, Holländisch und Italienisch (zwischen 2,9 und 4,5 %). Osteuropäische sowie aussereuropäische Sprachen liegen jeweils unter 0,5% der Accounts. Eine ähnliche Verteilung zeigt auch ein Blick auf die Weltkarte, worauf die Verortung der Tweets dargestellt wird. Die #climatestrike-Bewegung erhält globale Aufmerksamkeit – von Alaska und Brasilien, über Finnland und Südafrika, bis hin zu Japan und Neuseeland. Klares Zentrum der Bewegung mit einer grösseren Anzahl Tweets als sonst irgendwo ist klar Westeuropa, wo die #climatestrike-Bewegung auch ihren Anfang genommen hat.

Weltkarte Climate Strike

Grossansicht der Weltkarte

Eine weitere prägnante Erkenntnis der Analyse ist, dass es im Netzwerk praktisch keine «wichtigen» Akteure gibt. Die 100 Accounts mit der höchsten Betweenness gehören fast durchweg zu Privatpersonen. Diese sind zwar relativ aktiv und gut vernetzt: Im Schnitt verfügen sie über 2370 Follower. Aber es sind eben keine Institutionen oder Organisationen – die Bewegung ist derzeit also in hohem Mass eine Bewegung von Individuen, die sich am Vorbild Greta Thunberg orientieren. Die (wenigen) Organisationen, die im Netzwerk präsent sind, haben in erster Linie eine radikal-ökologische Herkunft – mit Greenpeace als derjenigen Vereinigung, die dem etablierten politischen System am nächsten steht.

Eine noch sehr junge Organisation taucht mehrfach im Vernetzungsbild auf: Extinction Rebellion. Die erst im Oktober 2018 gegründete Gruppe kämpft nach eigener Aussage «mit zivilem Ungehorsam gegen das klimabedingte Massenaussterben». Hauptziel derzeit ist die Mobilisierung für einen weltweiten «Earth Strike» am 27. September – einen «Generalstreik zur Rettung des Planeten». Wie die Thunberg-Bewegung hat Extinction Rebellion (XR) ihre Wurzeln und ihren Schwerpunkt in Europa: Die Organisation wurde in Grossbritannien gegründet und verfügt gemäss eigenen Angaben derzeit über mehr Landesorganisationen in Europa (10) als im gesamten Rest der Welt (8). Und auch ihr Einfluss reicht bislang kaum über die klassischen Industriestaaten hinaus: Von den aktuell 27 Twitter-Accounts, die sich als regionale oder nationale XR-Accounts bezeichnen, befinden sich nur zwei in Schwellenländern: Indien und Kolumbien. Zusammen verfügen diese zwei Accounts derzeit über etwa 500 Follower – dem Haupt-Account der Organisation folgen fast hundertmal mehr User.

Eine andere Institution spielte eine zentrale Rolle bei der viralen Verbreitung von Thunbergs Aktion im August 2018: We Don’t Have Time, ein 2017 von dem schwedischen Unternehmer Ingmar Rentzhog gegründetes Öko-Aktionsunternehmen. Rentzhog veröffentlichte am 20. August das erste Foto von Greta Thunbergs Streik vor dem schwedischen Parlament auf den Facebook-, Instagram- und Twitter-Accounts von We Don’t Have Time, und führte später auf seiner Webseite für eine kurze Zeit Greta Thunberg als «Youth Advisor». Diese Verbindung führte mehrfach zu der Vermutung, dass Thunberg von Dritten instrumentalisiert würde. «Wer steuert?», lautet beispielsweise die Überschrift eines Artikels von Sebastian Sigler in «Tichy’s Einblick», der Thunberg verdächtigt, «möglicherweise dank gekonnter PR von interessierter Seite», nämlich von Ingmar Rentzhog, zum Welterfolg geworden zu sein.

In den aktuellen Vernetzungsbildern zu #ClimateStrike taucht We Don’t Have Time allerdings nicht oder allenfalls ganz am Rand auf. Auch Thunberg hat keinerlei Verbindung mehr zu der Organisation. Der Versuch Rentzhogs, sie für sein Start-up einzuspannen, sei mit ihr nicht abgesprochen gewesen, sagt sie, We Don’t Have Time habe sich dafür bei ihr entschuldigt. Und dass Rentzhog, den sie vorher nicht kannte, als erster das Foto von ihr postete, habe schlicht daran gelegen, dass er damals als einer der ersten am Parlament vorbeilief.

Auf die Frage «Wer steuert?» lautet demnach die Antwort: Greta Thunberg. Von Drahtziehern oder Einflüsterern ist nichts zu sehen. Thunberg schreibt selbst, was sie sagt. Und was sie sagt, das meint sie auch. Ihre Unabhängigkeit, und ihre Kompromisslosigkeit, tragen massgeblich zur Attraktivität ihrer Bewegung bei. Sie formuliert eine Extremposition im öffentlichen Diskurs um den Klimawandel; und es ist bei weitem nicht das erste Mal in der politischen Geschichte, dass eine radikale Haltung besondere Strahlkraft entwickelt. Extrempositionen von Machiavelli bis Marx dienen eher als Leitplanken einer Auseinandersetzung denn als deren Wegweiser – sie ermöglichen es Akteuren aus allen Lagern, die eigene Position klarer zu formulieren.

Die ökologische Bewegung, die in der 1970er Jahren mit Aktionen zivilen Ungehorsams auf den Strassen ihren Anfang nahm, hat sich früh gegen eine Fundamentalopposition und für Optionen politischer Mitgestaltung entschieden. Daraus sind komplexe Interessengeflechte entstanden, in die sich die Kompromisslosigkeit der #ClimateStrike-Bewegung kaum integrieren lässt. Hier geht es eher um die Hoffnung, dass ausserparlamentarische Aktionen das Meinungsklima insgesamt in Richtung Ökologie verschieben. Auch wenn Thunberg politische Kompromisse ablehnt, oder eher: gerade weil sie das tut, kann ihre Bewegung zu zählbaren Teilerfolgen im Kampf gegen den Klimawandel führen.

Ein weiterer Effekt Greta Thunbergs könnte in einer Änderung des Konsumverhaltens bestehen. Sie selbst lebt drei radikale Verhaltensweisen vor: Sie fliegt nicht, lebt vegan und kauft nichts, was neu ist. Vereinzelt wird derzeit von Nachahmungseffekten berichtet – etwa von einer 16jährigen Schülerin in Berlin, auf deren Initiative hin ihre Schule strengere Regeln für Flugreisen erlassen hat, und deren Klassenfahrt nach Kroatien nicht wie ursprünglich geplant mit dem Flugzeug, sondern mit der Bahn stattfindet. Wie weit solche Verhaltensänderungen um sich greifen, ist sicherlich stark davon abhängig, welchen weiteren Verlauf die Bewegung nimmt.

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