Prediction Products

Immer mehr Anbieter trimmen ihre Produkte darauf, aus den Daten der Nutzer Zukunftsprognosen zu erstellen. Schön, wenn die Produkte dabei lernen, unsere Wünsche noch besser zu erfüllen – aber ganz so schön wird es nicht immer aussehen. Das findet zumindest Shoshana Zuboff. Sie weist in ihrem neuesten Buch auch auf die Schattenseiten von Prediction Products hin.
3 April, 2019 durch
Prediction Products
GDI Gottlieb Duttweiler Institute
 

Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose, schrieb Gertrude Stein im Jahr 1913. Die Dinge sind, was sie sind. Zumindest war das so Anfang des 20. Jahrhunderts. Anfang des 21. Jahrhunderts hat sich die Lage grundlegend gewandelt. Denn immer mehr Produkte werden so designt, dass sie mehr als nur das sind, was sie zu sein scheinen. Eine Rose kann auch eine Liebeserklärung sein, ein Datenträger und ein Spähwerkzeug. Empfangen wir eine Rose, dann können wir daraus eine Botschaft herauslesen. Und Botschaften erhält auch derjenige, der die Daten empfängt, die von der Rose übertragen werden. Zusammengenommen mit vielen anderen Daten vieler anderer Dinge kann er herauslesen, warum wir die Rose gekauft haben, wann wir vermutlich die nächste kaufen werden – und wie die Rosenindustrie es schaffen kann, dass wir in Zukunft häufiger Rosen kaufen.

«Prediction Products» nennt die US-Ökonomin Shoshana Zuboff diese neue, stark wachsende Schar. Nach ihrer Definition gehört dazu «jedes Produkt, das smart genannt wird, sowie jeder Service, der personalisiert genannt wird». Denn zu diesen Produkten führt jeweils eine Datenverbindung, über die Informationen aus unserem Leben an die jeweiligen Unternehmen fliessen. Das erste Unternehmen, das auf diese Weise begann, Prognosen über die Zukunft im Allgemeinen und unser Verhalten im Besonderen anzustellen, sei vor zwei Jahrzehnten Google gewesen. Heute, so Zuboff, sei jedes Grossunternehmen darauf erpicht, seine Erzeugnisse in Prediction Products zu verwandeln. Sie zitiert den CEO von Ford, der seine Autos nicht mehr in erster Linie als Fortbewegungsmittel sehen will, sondern als 100 Millionen Datenboxen, die überall auf der Welt laufend Informationen erhalten, wer sie wann und wo auf welche Weise nutzt.

So entstehen neue Datenschichten zwischen Menschen, Dingen und Unternehmen, die Nutzen für alle stiften können. Wenn smartes Saatgut seinen Reifezustand mitteilt und diese Daten mit der hyperlokalen Wetterprognose verbunden werden, kann man dadurch den Einsatz von Wasser und Düngemitteln reduzieren und gleichzeitig die Qualität der Ernte steigern. Wenn der Schuh selbst erkennt, dass sein Absatz bald bricht, kann er uns rechtzeitig davor warnen und eine passende Alternative bereitstellen – am richtigen Ort und in der richtigen Grösse. Wenn Unternehmen unser Verhalten kennen, können sie ihre Angebote an unsere Bedürfnisse anpassen. Damit steigen Bequemlichkeit und Kundenzufriedenheit, denn die subjektiv erfahrene Produktqualität hat sich durch diese zusätzliche Datenschicht substanziell verbessert.

Doch was so verheissungsvoll klingt, hat auch seine Schattenseiten. Zuboff warnt in ihrem gleichnamigen Buch vor einem neuen «Surveillance Capitalism». Unternehmen würden schliesslich die Erkenntnisse aus unseren Daten, aus unserem Verhalten nicht in erster Linie nutzen, um uns eine Freude zu machen, sondern um ihren eigenen Profit zu steigern, so die These. Entsprechend gross sei die Versuchung, nicht so sehr die eigenen Produkte nach unseren Wünschen zu verändern, sondern unsere Wünsche so zu verändern, dass sie zu den eigenen Angeboten passten. Das kann sich für uns positiv oder negativ auswirken: Es kann unseren Zuckerkonsum oder unser Herzinfarktrisiko steigern oder senken. Und oft merken wir nicht einmal, dass wir plötzlich anders konsumieren oder denken.

Zuboff sieht hier eine schleichende Enteignung. Mit Prediction Products würden Persönlichkeit, Verhalten und Privatsphäre zu einem handelbaren Gut. Unternehmen sammelten unsere Daten nicht nur für den Eigenbedarf, sondern verkauften sie weiter in einem fast ungeregelten Markt, so dass am Ende keiner mehr wisse, wo und von wem diese Daten schliesslich eingesetzt würden. Als Beispiel nennt sie eine deutsche Puppe, die die Gespräche von Kindern mit ihr aufnahm – und diese dann an den US-Geheimdienst CIA weiterverkaufte.

Das Verhalten der Unternehmen vergleicht Zuboff mit der Vorgehensweise der spanischen Konquistadoren nach der Entdeckung Amerikas: «So wie Kolumbus die von ihm entdeckten Inseln für Spanien und den Papst in Besitz nahm, nahm Google die von ihm entdeckten Daten für seine Suchmaschine in Besitz. Und uns hat das genauso unvorbereitet getroffen wie damals die Bewohner der Karibik.»

Dass es den Eingeborenen der Digitalsphäre, den Digital Natives, so ergehen muss wie damals den amerikanischen Eingeborenen, sei dabei noch lange nicht ausgemacht, sagt Zuboff: «Unsere Gesellschaften haben schon mehrmals die Auswüchse eines ungebremsten Kapitalismus begrenzt; das müssen wir auch diesmal wieder schaffen.» Wenn beispielsweise private Daten privates Eigentum bleiben, kann jeder Nutzer selbst entscheiden, welchen Institutionen er sie für welche Zwecke anvertraut. Dann wären Produkte, die in unsere Zukunft schauen, keine Bedrohung mehr, sondern ein Versprechen.

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