Das Wichtigste von der GDI-Handelstagung 2018

Was bedeutet die Handelskonkurrenz aus China? Wie behaupten sich Convenience-Anbieter? Was hat Fussball mit dem Handel zu tun? Antworten lieferten Innovatoren und Retail-Grössen an der GDI-Handelstagung vom 6. – 7. September 2018. Eine Zusammenfassung.
11 September, 2018 durch
Das Wichtigste von der GDI-Handelstagung 2018
GDI Gottlieb Duttweiler Institute
 

David Bosshart, CEO, GDI Gottlieb Duttweiler Institute: «Wir müssen von Transformation sprechen, nicht von Wandel, denn es betrifft alles.»
Die Komplexität im Alltag ist gestiegen und wir stehen erst am Anfang der Exponentialität. Wir müssen von Transformation sprechen, nicht von Wandel, denn es betrifft alles. Die Frage ist: Wie können wir mit Daten Werte im Handel schaffen? Bisher waren viele Schnittstellen geschützt, aber es gilt: mehr Daten, weniger Privatsphäre, mehr innovative Einsichten. Die Aufmerksamkeit des Kunden muss durch «Sustainable Attention Hacking» erlangt werden, eine neue Entertainment-Economy entsteht. Der traditionelle, stationäre Handel hat Chancen, wenn man es gut macht, siehe Walmart. Subscription-Modelle und Housing-on-Demand sind weitere spannende Themen, selbst Aldi baut jetzt Wohnungen. Der Höhepunkt des Besitztums ist erreicht, die Babyboomer wollen ihren «Stuff» loswerden. Convenience ist häufig langweilig, aber niemals trivial.

Terry Young, Gründer, sparks & honey: «Data is a double edged sword, creating opportunities or sinking brands.»
Die Marktfragmentierung zwingt Marken, ihre Produkte zu überdenken. Daten sind dabei ein zweischneidiges Schwert: sie eröffnen neue Möglichkeiten, können Marken aber auch zerstören. Dadurch, dass der Online-Commerce immer und überall verfügbar ist, wandeln sich die Handelsflächen zu Erlebnisflächen. 60 Cent jedes Dollars, der im Handel generiert wird, werden durch Online-Interaktionen beeinflusst. Trends, die den Handel am stärksten verändern werden: 1. Experten-Automation (Angestellte werden zu 100% augmentiert arbeiten); 2. Ökosysteme vor Unternehmen (grosse Marken verlieren Anteile an Startups und kleine Marken, Verbindungen werden komplexer, WeChat ist Bank, Ausweis, Community, Marktplatz in einem); 3. Realitätsmanipulation (alles kann gehackt werden, die Lieferkette muss daher transparent sein); 4. Daten als Menschenrecht (Blockchain als eine Möglichkeit, Daten zu schützen); 5. 10-Mal  persönlicher (welche Tools helfen, das Kundenerlebnis persönlicher zu machen?); 6. unklare Verantwortung (Vertrauen wird das grösste Abgrenzungsmerkmal sein).

Richard Kelly, Chief Catalyst, Fung Academy, Fung Group: «If you don’t have a presence in Asia now, and want to become a world leader, you are probably too late.»
Organisationen sind sehr schlecht darin, neue Möglichkeiten zu schaffen. Wer jetzt noch keine Präsenz in Asien hat, aber Weltmarktführer werden will, ist wahrscheinlich zu spät. Es geht nicht mehr um Inhalt, sondern Kontext. In China geht alles sehr viel schneller. Die Frage ist: wie lernen und entlernen wir schneller? Offene Communities sind viel vorteilhafter für das Lernen als gesichertes Firmenwissen. Wir brauchen den Willen, es zu probieren. Privatsphäre vs. Convenience: China hat die Frage zu Gunsten der Convenience schon längst entschieden. Werte, jenseits des Geldes und der Sinnhaftigkeit, werden wichtiger. Gehen Sie raus, so weit Sie können, bis Sie sich unwohl fühlen.

Fabrice Zumbrunnen, Präsident der Generaldirektion, Migros-Genossenschafts-Bund: «Das Ökosystem, mit wem wir arbeiten, wird an Bedeutung gewinnen.»
Es geht nicht um eine Revolution, sondern eine bessere Version der Migros. Sie soll agiler werden. Die komplexen Strukuren der Genossenschaft können auch von Vorteil sein, wenn es um die letzte Meile zum Kunden geht, ist die Migros vorne mit dabei. Die Wertschöpfungskette und deren Erweiterung wird noch ein grosses Thema sein. Auch die Frage, mit wem die Migros zusammenarbeitet wird an Bedeutung gewinnen. Die Migros muss offen und kooperationsbereit sein, Kooperationen müssen aber zu einer Win-Win-Situation für beide Seiten führen. Im Bereich Convenience gibt es grosse Wachstumschancen, aber auch im Food-Segment. Kundenumfragen zeigen: Nähe und Qualität werden geschätzt.

Michael Mueller, CEO, Valora Group: «Convenience wird einen neuen Wettbewerber bekommen, der heisst Delivery.»
Valora-Kioske erleben Frequenzrückgang bei Zeitschriften und Tabak. Das Pressegeschäft hat sich in den letzten zehn Jahren halbiert. Mit seinen neuen Avec-Geschäften führt Valora ein neues «Foodvenience»-Erlebnis ein. Der Convenience-Markt erlebt einen Boom, der mit Megatrends des Konsums zusammenhängt. Konsumenten sind mobiler, verpflegen sich unterwegs und leben häufiger allein. Beim On-the-go-Demand hilft Alibaba noch nicht. Und: Der Convenience-Sektor ist ein spannender Partner für die Konsumgüterindustrie, weil er den Zugang zum Konsumenten hat. Convenience wird einen neuen Wettbewerber bekommen: Delivery. Die Konzeptentwicklungszyklen werden viel kürzer, stehen aber im Widerspruch zu langfristigen Mietverträgen. Der Fokus muss sich von der Administration des Geschäfts zur Innovation verschieben. Wenn Valora zu kleine Pläne macht, dann wird das Unternehmen überrollt.

Stephan Zoll, CEO, Signa Sports Group: «Differentiation is key to drive barriers for entry.»
Der Sportartikelmarkt ist sehr attraktiv, im Vergleich zur Mode oder zu Möbeln: hoher durchschnittlicher Bestellwert, niedrige Rückgabequoten, kleines Fashion-Risiko, grosse Spannweite an Spezialprodukten, hohe Wiederkehrquoten. Die top Fünf der Sportartikelanbieter in Europa teilen sich 18% des Marktes. Differenzierung ist der Schlüssel für den Einstieg in den Sportartikelmarkt.

Behshad Behzadi, Distinguished Engineer, Site Lead Google Switzerland: «Talking to machines is nice, but in 20 years we will talk to our environment.»
Die AI-Revolution passiert jetzt. Mit Maschinen zu sprechen ist nett, aber in 20 Jahren werden wir mit unserer Umwelt reden. Es gibt 20’000 verschiedene Arten, nach dem Wetter zu fragen, der Google Assistant versteht sie alle. Menschen benutzen Kontext die ganze Zeit, wenn sie miteinander reden. Google-Forscher bringen diesen Kontext dem Assistant bei. Google ist dabei, die Zukunft zu erschaffen.

Publikumsumfrage:

IHT18 Publikumsumfrage1 GDI

Jarno Vanathapio, Gründer und CEO, NA-KD: «For millennials, the glossy thing doesn’t work anymore.»
Na-kd ist nicht nur eine Marke, sondern auch ein «Ermöglicher». Die Marke geht viele Kollaborationen ein. Online-Fast-Fashion wird der Gewinner sein. Na-kd versucht, die acht Sekunden Aufmerksamkeit der Generation Z zu bekommen. «Glossy» wirkt bei Millennials nicht mehr. Die Generation Z ist postmaterialistisch, nachhaltig (aber noch nicht bereit, dafür zu zahlen), ausdrucksstark. Der Massenmarkt ist vorbei, heute verkauft man nicht mehr das gleiche Kleid an Millionen von Kunden.

Jan Sedlacek, Mitgründer und Managing Partner, Stryber: «Es geht nicht um eine digitale Strategie, es geht darum, digital zu sein.»
Bei 20% Online-Anteil des Marktes fängt der Markt an zu kollabieren. Es geht nicht um eine digitale Strategie, sondern darum, digital zu sein. Wilde «Open Innovation» hilft nicht viel. Lehre aus dem Kuoni-Untergang: Eine klare Vision ist die Basis für alles.

Marije Vogelzang, Eating-Designerin und Gründerin, Dutch Institute for Food & Design: «A big mess at the end is always a sign of good design.»
Brauchen wir wirklich noch mehr neu designte Produkte? Die Essenskultur ist viel interessanter, und wird jeden Tag verändert. Ein grosses Chaos am Ende ist immer das Zeichen für gutes Design. In Restaurants sollte es neben einer Weinkarte, eine Karte mit Wassern aus der Region geben. Das Vegi-Regal im Supermarkt ist heute bloss eine Kopie des Fleischregals mit Vegi-Würstchen und -Burgern. Als Vegetarier sollte man aber fühlen, dass man etwas Gutes tut.

Pierluigi Collina, Schiedsrichter-Legende: «It is not enough to know the rules of the game. You have to anticipate what is going to happen.»
Schiedsrichter müssen einem enormen Druck standhalten, wenn sie ein Spiel pfeifen. Druck von bis zu 90’000 Zuschauern, aber auch Druck, der von der Wichtigkeit des Spiels kommt, vom Geld, welches dahintersteht. Entscheidungen des Schiedsrichters können 200 Millionen Pfund wert sein. Eine Fehlentscheidung kann das Ende einer Schiedsrichterkarriere bedeuten. In Zukunft werden die Spieler agiler werden, es wird um noch mehr Geld gehen und mehr Technik wird den Schiedsrichter bei seinen Entscheidungen unterstützen. Wichtiger als Wissen ist die Interpretation von Spielzügen. Der Schiedsrichter muss immer schon den nächsten Schritt im Spiel voraussehen. Dies kann er, indem er Verhaltensweisen der Spieler und Teams vor dem Spiel analysiert. Big Data-Analysen helfen da heute schon. Maschinelles Lernen kann die Zukunft des Schiedsrichtens sein.

Lucy Harris, Partner, Clarity Search: «Bring in talent who thrive in ambiguity.»
70% der Mitarbeitertransformation passiert in digitalen Startups. 45% in Warenhäusern. Unsicherheit bietet eine Plattform für Transformation und Möglichkeiten. Konsumentengetriebene Unternehmen müssen sich genauso weiterentwickeln wie ihre Führungskräfte. Der Trend geht zu kleinen, knapp besetzten Teams. Ziel sollte es sein, «reibungsfreie» Unternehmen zu schaffen, nicht nur makellose Kundenerlebnisse. Die besten Unternehmen verhalten sich intuitiv den Kunden gegenüber. Ein gutes Ergebnis und Wachstum kommen dann ganz von alleine. Holen Sie sich Mitarbeiter, die Widersprüche ins Unternehmen bringen. Die Denkweise kann wichtiger sein, als die Funktion. Lernen Sie schnell, zu viele Überlegungen können schaden. Agilität und Wandel sind Öl für die Räder des Wandels im Handel.

Publikumsumfrage:

IHT18 Umfrage2 GDI

Christoph Werner, Geschäftsführer Marketing & Beschaffung, dm-Drogerie-Markt: «Freie Menschen wollen sich mit Ideen verbinden können.»
Wir brauchen einen neuen Ausdruck der überdauernden Geschäftsidee. Bei Startups ist diese sicher einfacher zu fassen als bei gestandenen Unternehmen. Es ist herausfordernd, ausgefeilte Geschäftsprozesse zu transformieren. Wir sehen uns heute dem Phänomen der Ermächtigung gegenüber: Den Individuen stehen dank des Internets unheimlich viele Informationen zur Verfügung. Auch Hypes und Busts von bestimmten Produkten kannten wir vorher in dieser Grössenordnung noch nicht. Dies erfordert auch ein Umdenken, wenn diese Produkte nach kurzer Zeit in den Regalen liegen bleiben. Die Grösse von Amazon hatten früher nur die Kirche oder das Militär. Ziel sind niedrige Prozesskosten und ausgefeilte Geschäftsprozesse, aber Angestellte werden so innovationsresistent. Vier Erfolgskonzepte für das Zeitalter der Ermächtigung: 1. Den Umgang mit der zunehmenden eigenen Komplexität lernen: Mitarbeiter ermächtigen. 2. Die Organisationspyramide auf den Kopf stellen: Aufgabe der Führungskräfte ist es, die richtigen Fragen zu stellen. 3. Mit Perspektiven, statt mit Dogmen arbeiten. 4. Notwendigkeit der Sinnzentrierung: Geht es um die Kunden, oder Sie? Freie, ermächtigte Menschen wollen sich mit Ideen verbinden. dm lebt nicht mehr nach dem Meister-, sondern nach dem Evokator-Prinzip.

Sandrine Retailleau, Präsidentin und Mitgründerin, La Salle de Sport with Reebok: «Inspire, engage, convert.»
«La Salle de Sport with Reebok» in Paris bietet vier Sporträume für unterschiedliche Sportarten: Boxen, Indoor-Cycling, Yoga und Cross-Fit. Es ist der grösste Reebok-Store in Europa. Dort kann man Outfits direkt während des Workouts testen. Ziel ist es, emotionale Verbindungen zwischen den Produkten und den Menschen herzustellen. Der Laden soll ein Ort sein, wo sich Leute zu Hause fühlen. Es ist wichtig, einen Grund zu schaffen, warum die Kunden wieder in den Shop kommen sollen, dort Zeit verbringen sollen und Produkte kaufen sollen.

Reiner Pichler, Group CEO, Calida Holding: «E-Commerce ist für uns viel mehr als ein Vertriebskanal, es ist unser Fokus.»
E-Commerce macht 10% des Gesamtumsatzes von Calida aus und ist fest in der Unternehmenskultur verankert. Shopping gibt es online rund um die Uhr, geschieht aber immer unter Zeitdruck. Kunden werden anspruchsvoller. Es gibt kaum Stammkunden mehr. Diese sind vielleicht noch der Marke treu, nicht aber dem Kanal. Der Ausgabenanteil für Kleidung am Gesamteinkommen sank in Deutschland von 1992 bis 2016 auf die Hälfte. Innovationen sollen Impulse auslösen und Kunden dazu bewegen, in die Shops zu gehen. Es geht darum, authentisch und echt zu sein, und nicht darum, Marketingpreise zu gewinnen.

Sir Ian Cheshire, Chairman, Debenhams: «Change is possible on a faster rate than ever before.»
In den nächsten fünf Jahren werden wir mehr Wandel sehen, als jemals zuvor. Die Situation für Händler wird sich verschlechtern. Der Handel ist eher konservativ und tut sich mit Innovationen schwer. Nun sehen wir eine umfassende Transformation. Wenn Händler diesen Wandel nicht sehen, werden sie das erste Opfer sein. Konsumenten, Technologie und Geschäftsmodelle treiben diesen Wandel an. Konsumenten wollen kanalübergreifend und sofort shoppen. Sie suchen nach Neuem, Authentizität und Produkte, mit denen sie sich abgrenzen können. Konsumenten kehren von Dingen ab, hin zu Erlebnissen. Ein hoher Grad an Disruption kommt auf den Handel zu. Zunehmend werden vertikale, spezialisierte Plattformen Erfolge feiern. Händler, die nicht sicher sind, was ihr Geschäftsmodell ist, werden verlieren. Retailer sollten unzufrieden sein mit dem, was sie heute tun, um Wandel zu ermöglichen.

Publikumsumfrage:

IHT18 Umfrage3 GDI
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